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Veit Noll: E. Ghibellinos Illusion einer gegenseitigen Liebe zwischen der Fürstin Anna Amalia und dem Fürstendiener Johann Wolfgang (von) Goethe

Sturm im Wasserglas.

E. Ghibellino erregte mit seiner Publikation Goethe und Anna Amalia - Eine verbotene Liebe? großes Aufsehen. Sein Enthusiasmus zog Einige in den Bann. Nein, er ist kein Charlatan, aber er macht alles seiner Idee knechtisch untertan, auch die Wissenschaft und die Wirklichkeit, soweit sie überliefert ist.

Zu Recht weist die klassische Goethe-Forschung darauf hin, dass Ghibellinos Arbeitsweise unwissenschaftlich ist.

Es gibt keinen Grund zu der Behauptung, Josias von Steins Ehefrau Charlotte von Stein sei in der Zeit von Goethes Weimarer Anbeginn und später Hofdame bei Anna Amalia gewesen. Mit der Eheschließung war Charlotte von Stein von dieser früheren Stellung entbunden worden. Josias von Steins Schwester, die ledige Charlotte/a von Stein, war Hofdame bei Anna Amalia und starb schon 1784. Bereits hier wird Ghibellinos Konstruktion brüchig.

Die Briefe Goethes an Charlotte von Stein als Briefe an Anna Amalia zu deklarieren, findet außerdem keinerlei wirkliche Grundlage. Für seine diesbezüglich Behauptung bleibt Ghibellino jeglichen Beweis schuldig - ein Beweis, den er nach Zeit, Ort und Inhalt nicht führen kann, auch wenn in den Briefen keine persönliche Anrede enthalten ist. So ist es aufschlussreich, dass er sich auch nie bemühte, eben genau diesen Beweis zu erbringen.

Diese Einwände beziehen sich auf Ghibellinos Arbeitsmethode, auf Grund einer Idee ungegründete Behauptungen aufzustellen und diese zum Maßstab zu erheben.

Es gibt allerdings noch andere Linien, auf denen Ghibellinos Lieblingsidee in sich zerfällt.

Wie er auf seine Behauptung bezüglich der Briefe an Charlotte von Stein kommt, hat er nie so richtig deutlich gemacht. Versetzen wir uns in seine Denkweise hinein. Er sieht sich Bilder an und liest den Tasso. Er spürt (fühlt) in der/ den Leonoren, der Fürstin und der Gräfin, im Tasso eine Darstellung von Anna Amalia. Er sieht, dass im Tasso eine Liebste angebetet wird, zieht die Briefe von Goethe an Charlotte von Stein zu rate und erkennt, sowohl im Hinblick auf den Urtasso als auch den späteren Tasso II, dass Goethe in diesen Briefbezügen eben die Adressatin der Briefe in die höchsten Höhen erhebt, sie im Tasso als Liebste anbetet und auf spezielle eigene Lebensereignisse in Bezug auf diese Briefadressatin im Tasso anspricht. Genau daraus resultiert sein kurzer Schluss, diese Briefe Goethes seien tatsächlich an Anna Amalia gerichtet, anstatt den Tasso genauer mit jurisitscher Sprachkenntnis zu lesen und eine Untersuchung durchzuführen.

Die Schlüssel zur Aufhebung dieses Irrweges sind in dem Buch

                 Goethe im Wahnsinn der Liebe - Band 2: "Tassos" Botschaft,

                 Forschungsverlag Salzwedel 2016

zu finden.

Tatsächlich verstecken sich hinter der gedoppelten Leonore zwei Seiten der einen Person Anna Amalia, aber völlig anders als Ghibellino sich das denkt.

Tatsächlich gibt es einen Lebenszusammenhang zwischen den Leonoren und Anna Amalia - den Ghibellino allerdings nicht sieht. Zu Goethes Geburtstag am 28. August 1781 ließ Anna Amalia im Eigenbezug Minervens Geburt aufführen und verlieh Goethe den Dichterkranz (Vgl. Goethe im Wahnsinn der Liebe, Bd. 1, Die Flucht 1786). Die Leonoren im Tasso winden den Kranz für den Dichter und den Staatsmann. Herzog Carl August meinte in einer Rezension im Tiefurter Journal zur Kranzverleihung mit der Aufführung von Minervens Geburt, es sei die Situation eines Herkules am Scheideweg - also einerseits zwischen Wahrung von Recht und Tugend (eine Intimbeziehung ohne Ehe war eine Straftat) und andererseits leicht zu erlangender Sinnlichkeit und Glück ohne Mühe. Goethe versicherte als Reaktion auf die Aufführung von Minervens Geburt verbunden mit der erwähnten Dichterkranzehrung seinerseits Charlotte von Stein in seinen Briefen und mit einem Gedicht (später Der Becher genannt) ausdrücklich seiner Liebe - als seiner einzigsten Liebsten. Dieses Gedicht setzte er ausgerechnet in Anna Amalias Tiefurter Journal.

Im Tasso versteckte Goethe Charlotte von Stein durch eine verdeckende sprachlich-juristische Methode als "ungenannte Perle", die er anbetet und als platonisch Geliebte in den Himmel erhebt. Die Bezüge zu den Briefen an Charlotte von Stein, die auch nach Goethes Willen selbst nach seinem Tod nicht veröffentlicht werden sollten, sind deutlich.

So erscheinen im Tasso "zwei Flammen" für den Dichter:  Die gedoppelte Leonore Anna Amalia und die ungenannte Perle Charlotte von Stein.

Der Tasso ist keine Liebesgeschichte, auch wenn Goethe darin seine Liebste Charlotte von Stein anbetet. Von Armide sang sein Lied - es geht um die  höchstpersönlichen Bestrebungen der gedoppelten Leonore. Goethes Tasso ist Eigenbiographie und Botschaft an die Fürstin Anna Amalia, die Goethes Liebe und Zuwendung wünschte.

Bei einer entsprechenden Analyse löst sich Ghibellinos Lieblingsidee sogar auf:

1. Goethe lässt im Tasso die eine Leonore zur anderen Leonore in einer Ich-Botschaft sagen:

   "Uns liebt er nicht - verzeih daß ich es sage!"

2. In einem Brief aus Italien schreibt Goethe an Charlotte von Stein, um den Tasso abfassen zu können, müsste er sich in eine Prinzessin verlieben (Brief vom 10. Januar 1788 bzw. auch Italienische Reise). Dazu habe er aber gar keine Lust. Das heißt also im Umkehrschluss, Goethe verliebte sich bis dahin eben nicht in eine Prinzessin. Herzogin Anna Amalia war vom Stand her eine Prinzessin aus dem fürstlichen Hause Braunschweig.

So kann an dieser Stelle kann vermerkt werden:

w.z.b.w.

In dem o.g. Buch über Goethes Wahnsinn klärt sich Schritt für Schritt Goethes Beziehungsproblem zwischen zwei Frauen auf, die eine war eine Fürstin, die andere eine verheiratete Frau. In einer Untersuchung durch Verhaltensweisen, Zeitzeugnisse und Literatur - in innerer Einheit von Biographie und Literatur - werden Goethes tiefgehende innere Konflikte um die Liebe deutlich. Davon ist sein erstes Weimarer Jahrzehnt entscheidend geprägt. Diese offenbaren sich unter anderem in Zusammenhang mit den beiden getrennten Italienreisen von Goethe und von Anna Amalia. Diese Konflikte sind Grundlagen eines bedeutsamen Teils von Goethes Literatur. Er bemüht sich darin und dadurch mit seiner Situation fertig zu werden und reicht sie an die Kennenden und Erkennenden in einer geschützten Sprache. Goethes Tasso ist mit den gefundenen Schlüsseln - es gibt noch einen weiteren - eine höchst aufschlussreiche Eigenbiographie.

05. Mai 2016

 

P.S. Henriette von Egloffstein besuchte als sehr junge Frau um 1788, während Goethe in Italien weilte, erstmals den Weimarer Hof. Als Gräfin wurde sie nach den Standesüblichkeiten der Herzogin Anna Amalia huldreich vorgestellt, gelangte mit ihr und dem Umfeld in näheren Kontakt. Die junge Gräfin beobachtete interessiert. Sie bewunderte die Herzogsmutter Anna Amalia überschwenglich. Im Hinblick auf Goethes Freundin Charlotte von Stein gelangte sie zu keiner hohen Meinung: sie sei eine gewöhnliche durchschnittliche adlige Frau. Entscheidend ist der Vermerk von Henriette von Egloffstein:  Die Herzogsmutter Anna Amalia hasste Charlotte von Stein regelrecht.

 

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